Experten Interview zum Thema: EU-Lieferkettenrecht & ESG-Maßnahmen
mit Dr. iur. Dr. phil. Adolf Peter LL.M., MA, CSE
(Wien,11.09.2023)
Durch die Auswirkungen des Klimawandels wird die hohe Bedeutung des Klimaschutzes und Umsetzung notwendiger Maßnahmen im internationalen Kontext unvermeidbar. Betroffen sind alle Stakeholder entlang der gesamten Lieferketten von Produzenten, Lieferanten bis zu den Endverbrauchern. Dr. iur. Dr. phil. Adolf Peter LL.M., MA, CSE in seiner Rolle als Consultant bei der Rechtsanwaltskanzlei Fieldfisher (Wiener Büro) mit dem ESG-Schwerpunkt meint dazu: "Die effektive Umsetzung der Klimaziele sei von entscheidender Bedeutung, insbesondere auch in den Beziehungen zwischen Unternehmen, die in internationale Lieferketten eingebunden sind". Darüber hinaus weist er auf die weite Auslegung des Begriffs "ESG" hin, der heute oft verwendet wird und viele Themen umfasst: "ESG ist aber nicht nur Klimaschutz. Es geht vor allem auch um Arbeitnehmerschutz, Verbot von Kinderarbeit, Gleichberechtigung, Diversität, Korruptionsverbote und vieles mehr. Alles hochaktuelle Themen, die es ernst zu nehmen und umzusetzen gilt.
Die Begriffe mit den Abkürzungen CSR und ESG werden oft als Synonyme verwendet. Sind sie tatsächlich ident?
Es existieren verschiedenste Definitionen. Bezieht man sich auf die CSR-Definition der EU-Kommission, kommt diese Definition schon sehr nahe an den ESG-Begriff (Environmental, Social, Governance) heran, da die Kommissionsdefinition neben sozialen und menschenrechtlichen Komponenten auch auf Ethik (zB Korruptionsbekämpfung) und Umweltbelange verweist.
Welche Vorteile bringt mit sich das Einhalten der ESG-Maßnahme entlang internationaler Lieferketten für österreichische Unternehmen?
Studien zeigen, dass der gezielte Fokus auf für das jeweilige Unternehmen wesentliche ESG-Themen (dazu bedarf es einer Materialitätsanalyse) positive Auswirkungen auf die finanzielle Position des Unternehmens haben kann. Im Zusammenhang mit den EU-Richtlinien im Bereich ESG – insbesondere sind hier die Corporate Sustainability Reporting Directive („CSRD“) und die bevorstehende Corporate Sustainability Due Diligence Directive („CSDDD“) zu nennen – geht es vor allem auch um Haftungsvermeidung.
Was ist dagegen bei Verstößen zu erwarten?
Schließlich drohen bei Verstößen ua zivilrechtliche Klagen sowie Verwaltungsstrafen. Die Vernachlässigung des ESG-Bereichs, mangelnde ESG-bezogene Kontrollen der direkten und indirekten Geschäftspartner oder gar Greenwashing können einem Unternehmen wesentlichen Schaden zufügen: negative Medienpräsenz, Projektstopps, massive Schadenersatzforderungen entlang der Lieferkette, Klimaklagen oder Verlust von Investoren.
Wie sehen Sie die Rolle des Aufsichtsrates und der/des CSR-Experten: innen konkret bei der Umsetzung der ESG-Maßnahmen im internationalen Kontext?
Im Zusammenhang mit der CSDDD ist die Einbeziehung der ESG-bezogenen Sorgfaltspflicht (Due Diligence) in die Unternehmenspolitik sicherzustellen. Aufsichtsratsmitglieder sind in diesem Kontext vor allem im Rahmen ihrer ex ante-Kontrolltätigkeit bei den zustimmungspflichtigen Geschäften (§ 95 Abs 5 AktG) gefordert: So können beispielsweise ESG-bezogene Komponenten als Teil der Grundsätze der Geschäftspolitik sowie der Unternehmensstrategie (Vorstandszuständigkeit) der vorherigen Zustimmung durch den Aufsichtsrat unterliegen. Solche Zustimmungspflichten, bei denen ESG-Aspekte eine große Rolle spielen können, bestehen auch bei Investitionen. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung auf Basis der CSRD hat im Lagebericht stattzufinden, welcher auch Prüfungsgegenstand des Aufsichtsrates bzw. Prüfungsausschusses ist. Es ist besonders empfehlenswert, dass nach dem Vorbild des Finanzexperten zumindest auch ein ESG-Experte Teil des Aufsichtsrates/Prüfungsausschusses ist. Weitere Einsatzgebiete für den Aufsichtsrat bestehen bei der Festlegung von ESG-bezogenen Kriterien für die Vorstandsvergütung und bei der Behandlung von ESG-bezogenen Beschwerden im Zusammenhang mit einem die internationale Lieferkette abdeckendem Whistleblowing-System. (Mehr zum Thema in unserem neuen Seminar: EU-Lieferkettenrecht & ESG-Maßnahmen für Aufsichtsräte & CSR-Experten).
Die Umsetzung von Due Diligence-Maßnahmen erfordert gute Zusammenarbeit mit Lieferanten. Können Sie Beispiele dafür nennen, wie man es fördern kann, um sicherzustellen, dass die Zulieferer z.B.: verantwortungsvolle Arbeitspraktiken oder Umweltstandards innerhalb der Lieferkette einhalten?
Lieferketten bestehen üblicherweise aus multiplen Ebenen von Generalunternehmern, Subunternehmen und Zulieferern. Will das Unternehmen, welches sich an der Spitze der Lieferkette befindet, alle Lieferkettenmitglieder verpflichten, bedarf es einer kaskadenartigen Vertragsgestaltung: Die betreffenden vertraglichen Verpflichtungen müssen von einer Ebene zur anderen Ebene, von Vertrag zu Vertrag, weitergereicht werden. Die EU-Kommission bezeichnet diese Vorgangsweise als „contractual cascading“.
Können Sie uns aus Ihrer Erfahrung auch negative Beispielfälle nennen, um sich mögliche Risiken besser vorzustellen?
Im Umweltkontext ist vor allem das Beispiel „Shell“ zu nennen. Der Erdöl- und Ergasriese Shell wurde im Jahr 2021 von einem niederländischen Gericht dazu verurteilt, seine weltweiten CO2-Emissionen bis 2030 um 45% zu reduzieren. Shell wurde dabei erfolgreich von 7 NGOs (darunter Greenpeace) verklagt. Greenpeace hat inzwischen auch den französischen Erdöl- und Erdgaskonzern TotalEnergies und dessen Management in Bezug auf seine CO2-Emissionen verklagt.
Was ist der wesentliche Unterschied zw. ESG-Recht in den USA, China und EU?
Sowohl in den USA als auch in China existieren keine Gesetze, die mit der CSDDD oder CSRD vergleichbar wären. Die EU setzt immer stärker auf strenge Mindestkriterien auf gesetzlicher Ebene, da es mit Freiwilligkeit (insbesondere mit „comply-or-explain“) nicht funktioniert hat. Im Hinblick auf die USA ist vor allem zu erwähnen, dass die US-Börsenaufsichtsbehörde (Securities and Exchange Commission, SEC) die Verabschiedung einer Regelung plant, welche börsennotierte Aktiengesellschaften zu erheblichen Berichtspflichten im Zusammenhang mit Treibhausgasemissionen und anderen klimarelevanten Risiken anhalten würde. Das chinesische Gesellschaftsrecht erwähnt in Artikel 5 ausdrücklich, dass sich Kapitalgesellschaften im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit unter anderem an sozialmoralische und wirtschaftsethische Prinzipien halten sollen. Chinas Corporate Governance Kodex verpflichtet alle Unternehmen, die in China an einer Börse notieren, die Rechte der Stakeholder (Banken, Gläubiger, Arbeitnehmer, Kunden, Lieferanten etc) zu respektieren und gemeinsam eine nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft zu fördern. Nachhaltigkeitsberichterstattung wird vor allem von den chinesischen Börsen vorangetrieben. Die Shanghai Stock Exchange (SSE) führte bereits im Jahr 2008 verpflichtende jährliche Nachhaltigkeitsberichte ein. Chinas Umweltschutzgesetz aus dem Jahre 2015 verpflichtet Unternehmen, die bestimmte Schlüsselschadstoffe verbreiten, zur Veröffentlichung von bestimmten Informationen. Am 1. Juni 2022 traten übrigens neue Berichtsstandards für die Veröffentlichung von Nachhaltigkeitsinformationen (Guidance for Enterprise ESG Disclosure) in Kraft. Die Anwendung dieser Berichtsstandards beruht allerdings auf Freiwilligkeit.
Hat da ein Kontinent/Wirtschaftraum entscheidende Rolle?
Die EU könnte in Sachen ESG zu einem Trendsetter werden, weil sowohl die CSDDD als auch die CSRD extraterritoriale Wirkung entfalten werden und auch Nicht-EU-Entitäten entweder direkt (bei Überschreitung bestimmter jährlicher Umsatzschwellen innerhalb der EU) oder indirekt (Lieferkettenmitglieder werden sich vertraglich zur Umsetzung von ESG-Maßnahmen bzw zur Zulassung von ESG-bezogenen Kontrollen – insbesondere ESG-bezogene Audits – verpflichten müssen) von den EU-Regeln erfasst werden. Die extraterritoriale Geltung dämpft auch einen potenziellen negativen Effekt auf die Wettbewerbsfähigkeit der betroffen EU-Unternehmen ab. Nicht unerwähnt bleiben darf auch eine weitere bevorstehende EU-Richtlinie: Die Green Claims Directive wird sich insbesondere gegen Greenwashing-Praktiken richten. Ihr wird ebenfalls extraterritoriale Geltung zukommen.
Welche Kontrollmechanismen stehen zur Verfügung?
Zu den effektivsten Kontrollmitteln zählen mit Sicherheit ESG-bezogene Audits entlang der gesamten Lieferkette durch unabhängige dritte Parteien (zB Wirtschaftsprüfungsunternehmen). Anonymisierte Whistleblowing-Mechanismen sollen sicherstellen, dass alle Mitarbeiter in einer Lieferkette Beschwerdemöglichkeiten erhalten, wenn ESG-Regeln verletzt werden. Eine wesentliche Rolle wird auch dem Aufsichtsrat und seinen Ausschüssen (Prüfungsausschuss, ESG-Ausschuss) zukommen. Nicht zuletzt sind auch mitgliedschaftliche (EU) Aufsichtsbehörden zu nennen.
Was wäre der nächste Schritt, wenn man Mängel im eigenem Unternehmen feststellt oder, dass die ESG-Kriterien bei einem Vertragspartner nicht eingehalten werden?
Es ist zu empfehlen, dass vertraglich ein mehrstufiger Eskalationsmechanismus vereinbart wird. Zunächst sollte der die ESG-Regeln verletzenden Vertragspartei immer die Möglichkeit gegeben werden, die Vertragsverletzung abzustellen. Sollte das nicht funktionieren, ist zunächst an eine vorübergehende Aussetzung der Geschäftsbeziehungen zu denken, bevor dann tatsächlich der Schritt der vorzeitigen Vertragsbeendigung mit all seinen Konsequenzen (insbesondere Durchsetzung von Schadenersatzforderungen) vollzogen wird.
Was wäre die Lösung wenn ein österreichischer Gerichtsurteil nicht in einem anderen Land vollstreckt werden kann?
Für internationale Streitigkeiten (insbesondere im Zusammenhang mit internationalen Lieferketten) sind vor allem internationale Schiedsverfahren zu empfehlen. Dazu sind Schiedsvereinbarungen zwischen den Vertragsparteien notwendig. Üblicherweise wird im Vertrag eine Schiedsklausel eingefügt. Da in Schiedsverfahren das Prinzip der Parteiautonomie höchste Relevanz
hat, können die Vertragsparteien unter anderem den Sitz des Schiedsverfahrens, das anwendbare Recht, die Schiedsrichter sowie die administrierende Schiedsinstitution vereinbaren. Aufgrund der Tatsache, dass über 170 Nationen die New York Convention unterzeichnet haben, ist die Anerkennung und Durchsetzung von Schiedssprüchen international (auch in China) meist kein Problem. Dahingegen können österreichische Gerichtsurteile zB in China aufgrund fehlender Abkommen und fehlender Reziprozität zwischen China und Österreich nicht durchgesetzt werden.
Können diese Maßnahmen Ihrer Meinung nach dazu beitragen, die Wirtschaft „grüner“ zu gestalten und die notwendige Transformation in Richtung Klimaneutralität zeitnah zu bewältigen?
Die Erreichung der Klimaneutralität steht und fällt mit der Durchsetzung der Klimaziele des Pariser Abkommens. Es bleibt abzuwarten, ob sich im Hinblick auf die CSDDD die Verhandlungsposition des Europäischen Parlaments gegen jene des Rats durchsetzen wird. Wenn ja, werden die Klimaziele aller Voraussicht nach Teil der Due Diligence-Maßnahmen und als solche entlang der internationalen Lieferketten vertraglich um- und durchgesetzt (die Vereinbarung von Schiedsklauseln ist im internationalen Kontext unumgänglich) werden müssen. Die von der CSDDD erwähnten Verwaltungstrafen oder zivilrechtlichen Gerichtsurteile (im Rahmen der CSDDD) werden aber gegenüber chinesischen Unternehmen wegen der fehlenden Durchsetzungsmechanismen zahnlos sein. Stattdessen werden Verkaufsverbote innerhalb der EU erforderlich werden, um Unternehmen zu bestrafen, die mit konventionellen Mitteln (Verwaltungsstrafen, Gerichtsurteile) nicht fassbar sind.
Um das Gespräch abzuschließen, sagen Sie uns noch welche Beweggründen Sie hatten, dass Sie sich in diese Richtung spezialisiert haben.
Ich habe bereits Anfang 2021 ein Buch zu diesem Thema im Springer-Verlag veröffentlicht. Ein weiteres Buch zum Thema wird von mir in der zweiten Jahreshälfte 2024 im britischen Routledge-Verlag veröffentlicht werden. Die Thematik lag mir schon lange am Herzen. Deshalb habe ich unter anderem (neben meinen rechts- und religionswissenschaftlichen Studien) „Angewandte Ethik“ an der Universität Graz studiert. Ich unterrichte das Thema auch schon seit einigen Semestern in meiner Funktion als Professor an der Shanghai University of Political Science and Law. Da ich als Jurist meinen Fokus im Bereich des internationalen Schiedsrechts habe, geht es mir vor allem darum, ESG-Maßnahmen und ESG-Regeln international im Rahmen von Schiedsverfahren in Streitigkeiten zwischen Unternehmen durchzusetzen. Diesbezüglich wird vor allem die bevorstehende CSDDD dazu führen, ESG-Regeln entlang der internationalen Lieferketten vertraglich und mittels Schiedsverfahren (als einzige gangbare Alternative, da Gerichtsurteile nicht überall international anerkannt werden) durchzusetzen.
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